Was teuer ist, ist wahr
Wenn ein Pfau ein Rad schlägt und seine blau und grün schimmernden Federn präsentiert, hat er nur ein Ziel: Er möchte ein Weibchen beeindrucken. Eigentlich dürfte die lange Schleppe nach der Theorie von der natürlichen Auslese aber gar nicht existieren; die Theorie fordert nämlich eine möglichst effiziente Nutzung von Ressourcen. Dass es solche extravaganten Merkmale trotzdem gibt, erklärte Charles Darwin in seiner Evolutionstheorie damit, dass Weibchen Männchen mit solchen Merkmalen bevorzugten. Er betonte zwar, diese sogenannte sexuelle Selektion funktioniere nur, wenn die attraktivsten Männchen auch die vitalsten seien. Ob dies tatsächlich der Fall war und wie ein solcher Zusammenhang gewährleistet werden könnte, blieb aber lange unklar.
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Ehrlich währt am längsten
Tiere übermitteln mit ihren «Extravaganzen» Informationen. Kommunizieren sie dabei «ehrlich», profitieren sowohl Sender als auch Empfänger des Signals. Signalisiert zum Beispiel eine gesunde und kräftige Gazelle dem Geparden, dass sie stark ist, wird sie vielleicht gar nicht erst angegriffen. Der Gepard profitiert, weil er seine Energie dafür einsetzen kann, eine schwächere Gazelle zu jagen und damit seine Erfolgschancen zu erhöhen. Da beide Partner jedoch unterschiedliche Interessen haben, besteht die Motivation, den anderen zu betrügen. So wäre eine schwache Gazelle im Vorteil, wenn sie dem Geparden vorgaukeln könnte, stark zu sein. Solche «Lügen» dürften allerdings im Verlauf der Evolution relativ rasch aufgedeckt und die «falschen» Signale nicht mehr beachtet werden, so dass sie mit der Zeit verschwinden sollten. Extravagante Signale, die sich über lange Zeit hinweg halten, müssen also «ehrlich» sein.
Damit ist aber noch nicht klar, über welche Mechanismen die «Ehrlichkeit» gewährleistet wird. Eine Antwort auf diese Frage hat der israelische Zoologe Amotz Zahavi 1975 mit der Theorie vom «Handicap-Prinzip» gegeben. Gemäss diesem ist ein «ehrliches» Signal immer mit einem Nachteil verknüpft, dem Handicap. So zeigt ein Pfau, der eine riesige Schleppe hinter sich herzieht, trotzdem genügend Nahrung findet und nicht gefressen wird, dass er vital ist. Wählt ein Weibchen also einen Partner mit einer besonders grossen Schleppe, sucht es automatisch ein qualitativ gutes Männchen aus.
Dass «ehrliche» Signale Kosten verursachen müssen, gilt laut Zahavi generell – also auch für solche Signale, mit denen Tiere Rivalen abschrecken oder die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich lenken. Doch während das Handicap-Prinzip an sich weitgehend akzeptiert ist, ist die Allgemeingültigkeit der Theorie in der Fachwelt stark umstritten. Mit verschiedenen Modellen und Experimenten suchen die Fachleute seither nach den Kosten verschiedenster Signale, um so zu klären, ob Zahavis Theorie tatsächlich immer zutrifft.
Kraft zum Werben
Besonders gut geklärt ist die Kostenfrage, was Signale aus dem Bereich der Partnerwahl angeht – und tatsächlich finden sich hier viele Belege für Zahavis Theorie. So versuchen Männchen bei der Werbung um eine Partnerin die Weibchen oft nicht nur mit ihrem Aussehen, sondern auch mit Geschenken zu bezirzen. Sie bieten ihnen etwa Futter an. Weil sie selbst dann auf die Nahrung verzichten müssen, erfüllt dieses Signal Zahavis Forderung: Es ist kostspielig, denn nur vitale Männchen können es sich leisten, Futter abzugeben. Meist muss das Männchen zudem über längere Zeit um ein Weibchen buhlen. Nach einem kürzlich publizierten Modell ist auch diese Zeitspanne ein kostspieliges Signal, weil beide Partner während des Werbens weniger Zeit für andere Tätigkeiten, etwa die Futtersuche, haben. Da qualitativ gute Männchen eher auf diese Zeit verzichten können als schlechte und daher länger werben können, tun Weibchen gut daran, sich bei der Partnerwahl Zeit zu lassen.
Auch bei Begegnungen mit Rivalen werden «kostspielige» Signale eingesetzt, die Zahavi als Belege für seine Theorie anführt. Solche Signale können beispielsweise das Risiko erhöhen, angegriffen zu werden oder bei einem Angriff im Nachteil zu sein. So kann nur ein starker Damhirsch ein grosses Geweih tragen. Rivalisierende Böcke wiederum, die entlang der Grenze ihrer Territorien nebeneinander hergehen und ihre Geweihe präsentieren, nehmen eine für den Nahkampf sehr riskante Haltung ein, da der Körper in aufrechter Position besser angegriffen werden, aber weniger gut einen Überraschungsangriff landen kann.
Farben mit Signalwirkung
Auch die Körperfärbung dient als Signal. Hier spielen die rot-gelben Carotinoide und die braun-schwarzen Melanine wichtige Rollen. Für die Carotinoide lässt sich das Handicap-Prinzip recht gut belegen. Diese Farbstoffe werden ausschliesslich mit der Nahrung aufgenommen, stärken das Immunsystem und wirken als Antioxidantien. Nutzt ein Tier sie für die Körperfärbung, ist dies kostspielig, weil es auf die positiven Wirkungen der Pigmente verzichten muss.
Ob die auf Melaninen basierenden Signale – etwa der schwarze Bruststreifen von Kohlmeisen oder der dunkle Kehlfleck von Spatzen, deren Grössen den sozialen Rang des Tieres anzeigen – kostspielig sind, ist weniger klar und wird zurzeit von mehreren Forscherteams untersucht. Carl Bergstrom von der University of Washington hält es für unwahrscheinlich, dass die für den Kehlfleck der Spatzen benötigte Pigmentmenge grosse Kosten verursacht, da Melanin im Körper gebildet wird und nicht – wie die Carotinoide – nur begrenzt zur Verfügung steht. Der Forscher geht vielmehr von indirekten Kosten aus. Vögel, deren – im Versuch aufgemalter – grosser Fleck einen hohen Rang vortäusche, würden nämlich öfter von Artgenossen attackiert, erklärt Bergstrom. Nach einer anderen Hypothese ist die Melaninproduktion kostspielig, weil sie oft auf Androgenen beruht, die das Immunsystem schwächen.
Ismael Galván vom Museo Nacional de Ciencias Naturales in Madrid schliesslich vermutet einen Zusammenhang zwischen durch Melanin verursachten Färbungen und dem Schutz gegen schädliche Sauerstoffradikale. Weil das besonders potente Antioxidans Glutathion bei Kohlmeisen in hohen Konzentrationen die Melaninproduktion hemmt, muss laut Galván ein Vogel mit grossem Fleck das Fehlen des besonders wirkungsvollen Antioxidans kompensieren können; der schwarze Fleck zeigt demnach «ehrlich» die Fähigkeit des Tieres an, alternative Antioxidantien zu mobilisieren.
Carotinoide und Melanine dienen auch als Warnfarben, mit denen zum Beispiel Pfeilgiftfrösche ihre Giftigkeit anzeigen. Sie übermitteln also Informationen und müssten laut Zahavi ein Handicap darstellen, also Kosten verursachen. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist allerdings noch nicht endgültig geklärt. Sicherlich ziehen die Farben die Aufmerksamkeit von Fressfeinden auf sich, was sich nur sehr giftige Tiere leisten können. Warnfarben gelten daher gemeinhin durchaus als kostspielig. Umstritten ist aber, ob sie auch ein quantitativ «ehrliches» Handicap sind, das heisst ob sie umso intensiver sind, je giftiger der Frosch ist. Da die giftigsten Tiere bei einem Angriff die besten Überlebenschancen haben, könnten sie sich – zumindest laut theoretischen Modellen – die für die Färbung notwendigen Pigmente sparen und schwache Warnfarben ausbilden. Diese Theorie wird durch eine Studie an Pfeilgiftfröschen der Gattung Epipedobates gestützt. Asiatische Marienkäfer und andere Pfeilgiftfrösche indes sind umso intensiver gefärbt, je giftiger sie sind.
Ein kürzlich publiziertes Modell will diese unterschiedlichen Beobachtungen erklären. Warnfarben sind laut ihm nur dann Handicaps, wenn sowohl die Farben als auch die Toxizität der Tiere auf denselben, nur begrenzt zur Verfügung stehenden Ressourcen (in diesem Fall Pigmenten) beruhen. Die Farbstoffe dienen dann laut der im Modell aufgestellten These nicht nur zur Körperfärbung, sondern dürften die Tiere aufgrund ihrer antioxidativen Eigenschaften auch vor deren eigenen Giften schützen können. Sind die Ressourcen jedoch nicht limitiert, ist es von Vorteil, sie stärker in die Toxine zu investieren als in die Körperfärbung. Denn ein schwach gefärbtes, aber stark giftiges Tier lenkt die Aufmerksamkeit von Fressfeinden weniger auf sich – und sollte es doch angegriffen werden, überlebt es dank seiner Giftigkeit eher.
Kostspieliges Betteln?
Am heftigsten streiten sich die Experten über die Gültigkeit des Handicaps-Prinzips, wenn zwischen Sender und Empfänger kein Wettbewerb herrscht und es daher keinen Grund gibt zu betrügen. Ein Beispiel für eine möglicherweise wettbewerbsfreie Kommunikation ist diejenige zwischen nah verwandten Individuen. Zahavi allerdings geht davon aus, dass es selbst hier einen Wettbewerb gibt; zwischen Eltern und ihrem Nachwuchs beispielsweise, weil jedes Jungtier daran interessiert sei, seine eigenen, ganz speziellen Gene zu erhalten, die Eltern aber möglichst viele Nachkommen grossziehen wollten. Das Junge versuche also, möglichst viel Futter für sich zu erbetteln, die Eltern indes verteilten die Nahrung lieber gleichmässig an den ganzen Nachwuchs.
Fachleute versuchen seit längerem, dies zu überprüfen. Gregorio Moreno-Rueda von der Universität von Granada hat die Ergebnisse ihrer Bemühungen kürzlich in einer Studie zusammengefasst. Die meisten Modelle belegen laut dem Forscher, dass Betteln kostspielig ist. Es soll Energie kosten, Raubtiere anlocken sowie die Fitness der Jungtiere indirekt beeinträchtigen, da ein Teil ihrer Gene auch in den Geschwistern steckt. Wenn eines davon verhungert, drohen mehrere Nachteile: Da weniger wärmende Tiere im Nest liegen, ist die Thermoregulation erschwert; die Parasitenlast und das Risiko, von einem Raubtier gefressen zu werden, werden grösser; und schliesslich hängt die zur Verfügung gestellte Nahrung von der Bettel-Intensität der ganzen Brut ab, weshalb weniger Futter zum Nest getragen wird.
Die empirischen Daten indes lassen laut Moreno-Rueda bis anhin keinen eindeutigen Schluss zu. Die indirekten Kosten dürften existieren; darauf weisen mehrere Studien hin. Küken des Hauszaunkönigs etwa betteln normalerweise weniger intensiv, als sie eigentlich könnten. Dadurch bekommt zwar jedes einzelne Tier etwas weniger Futter, seine Geschwister dafür aber etwas mehr, was deren Überlebenswahrscheinlichkeit und so indirekt auch die Fitness des Einzelnen erhöht. Belege für weitere Kosten lassen allerdings noch auf sich warten.
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