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Studieren, wo einheimisch exotisch ist

Ganz allein ins Ausland gehen! Doch was wenn Tausend andere Studenten dasselbe Ziel haben? Ein Blick auf Europas größte Erasmusuniversität in Granada.

Die Fakultät der Geisteswissenschaften, die «Filosofia y Letras», an der Universität Granada nimmt die meisten Austauschstudenten auf

«Könnte bitte ein Muttersprachler die Redewendung für die Ausländer erklären?» Dem Literaturprofessor an der spanischen Universität Granada schlägt peinliches Schweigen entgegen. Denn die Stadt ist europaweit das beliebteste Ziel für Erasmusstudenten – von den 50 anwesenden Studenten sind höchstens eine Hand voll Spanier. Die Universität nimmt jährlich rund 1900 Studierende aus ganz Europa auf, darunter 335 Deutsche. Das schlägt sich im universitären Leben, im Stadtbild und in den Erfahrungen der ausländischen Studenten nieder.

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Schöne Architektur, ein ausgeprägtes Nachtleben und nur eine Stunde Entfernung zum nächsten Strand oder Skigebiet sind Gründe dafür, warum Granada bei den ausländischen Studenten so beliebt ist. Dass man als Ausländer kein Exot ist, wird schnell klar. Auf die enthusiastische Erklärung, man werde nun ein halbes Jahr in der Stadt bleiben, zuckt bereits der Rezeptionist im Hotel nur gelangweilt die Schultern. Wie die meisten Neuankömmlinge ist der 21-Jährige William aus London überrascht: «Ich wusste nicht, dass so viele Erasmusstudenten hier herkommen.»

Die Anwohner der Stadt haben sich mittlerweile darauf eingestellt. Das zeigt sich auch bei der Wohnungssuche. An den Laternen, Bushaltestellen und Telefonzellen hängen Hunderte Zettel mit Wohnungsangeboten. Viele Vermieter oder Wohngemeinschaften suchen explizit nach ausländischen Studenten, andere eher nach «sauberen, netten, Nicht-Erasmusstudenten» – je nach Partybereitschaft.

Anrufen, besichtigen und am nächsten Tag einziehen. Mit Kinkerlitzchen wie Einkommensnachweis und Mietvertrag hält sich niemand auf. «Hat das Zimmer ein Fenster und eine Heizung?» ist dagegen ebenso essenziell zu erfragen, wie die Nationalität der restlichen Mitbewohner. Sonst sitzt man im Winter frierend in einem dunklen Loch und kommuniziert auf Italienisch, Französisch oder Deutsch. In dieser Reihenfolge sind die Nationen unter den Erasmusstudenten mengenmäßig vertreten. Und auch aus dem Rest der Welt strömen Studenten nach Granada. Die Stadt empfängt jährlich rund 10.000 Studierende von allen fünf Kontinenten.

Doch bleibt bei so viel Internationalität nicht das authentische Erlebnis der spanischen Kultur und Sprache auf der Strecke? In manchen Situationen drängt sich diese Frage auf. Wenn beispielsweise zu Anfang des Semesters auf der Straße kaum Spanisch zu hören ist und jeder Spanier im Freundeskreis eine Sensation darstellt. Oder wenn Gruppen ausländischer Studenten verzweifelt auf Kastilisch radebrechen, obwohl kein einziger Spanier anwesend ist und sich alle viel besser auf Englisch oder der jeweiligen Muttersprache verstünden.

So viele Ausländer auch unterwegs sein mögen, an spanischen Studenten mangelt es nicht. Mit ihren insgesamt 77.000 Studenten hat die Universität Granada einige tausend Studenten mehr als die größten Universitäten Deutschlands. Keine Kuriosität zu sein, erfordert vom Erasmusstudent schlicht mehr Eigeninitiative. Ganz oben auf der Liste der Maßnahmen: Spanisch lernen, am besten im Vorfeld. Das gilt ganz besonders für diejenigen Studenten, die nur ein Semester in Granada bleiben wollen. Die Einheimischen haben unter den Internationalen die Auswahl. Wer über «Hola, qué tal?» und «me llamo XY» nicht hinauskommt, ist wenig interessant.

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