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So lebt die Generation «Erasmus» an der Universität Granada

– So lebt die Generation Erasmus an der Universität Granada

Edemissener Stipendiatin Wiebke Gemba über fette Kater, zweideutige Intercambios und der Invasion der Guiris

Ein Fundus architektonischer Schmuckstücke, multikulturelles Ambiente, Sonne, Berge, Meer: Ideale Voraussetzungen zum Studieren, dachte ich mir im Februar 2005 im winterkühlen Münster und bewarb mich kurzfristig für ein 10-monatiges Erasmusstipendium an der Übersetzer- und Dolmetscher-Universität Granada.

Endlich mal in die Praxis umsetzen, was ich wie so viele Spanisch-Philologiestudenten im Grundstudium nur theoretisch beherrschte: Spanisch sprechen und, viel wichtiger, Spanisch denken, leben, sein.

Am Anfang, als ich Ende September hier eintrudelte und mich auf Wohnungssuche begab, schien mir das noch schier unmöglich. Denn gleich am allerersten Tag wurde mir in Granada im Stadtbus Richtung Zentrum der Geldbeutel samt Papieren, Bargeld und Bankkarten geklaut, was hier leider auf der Tagesordnung steht, und ich verbrachte die ersten Stunden im so herbeigesehnten Ausland anstatt in einer Tapasbar auf dem reichlich nüchternen Polizeirevier von Granada. Bei dieser Gelegenheit erprobte ich zum ersten Mal mein Spanisch mit ein paar Polizisten, die mir vorführten, wie sich ein original-feinster andalusischer Akzent anhört.

Die nächsten Tag verbrachte ich damit, Geldangelegenheiten und Ausweise zu regeln, und mir eine WG für die nächsten zehn Monate zu suchen. Wohnungsgesuche und -gebote schmücken hier zuhauf die öffentlichen Telefonzellen, Hauswände, Straßenlaternen und Bauzäune. Man muss nur anrufen und vorbeigehen. Nach der zehnten Wohnung am Camino de Ronda, der so ziemlich hässlichsten und lautesten Straße in Granada, hatte ich keine Lust mehr, mich mit anderen Erasmussen um kleine, dunkle Zimmer mit Fenster zum Innenhof und Minibetten (ich bin 1,85 m groß) zu reißen, horrende Summen fürs Telefonieren ausgegeben und abends total kaputt vom Laufen in meiner Pension anzukommen. Endlich fand ich eine nette WG in San Anton und lebte fortan für die nächsten sechs Monate mit einer herzigen Spanierin, ihrem Hund Tino und dem fetten Kater Romeo und einer Japanerin zusammen und gewöhnte mich langsam an die spanische Lebenskultur.

Mein neues Leben stresste mich total. Ich war ständig müde, hatte Kopfschmerzen und brauchte unglaublich viel Schlaf und ich sehnte mich nach einem routinierten Tagesablauf, guten Freunden und raschen Sprachfortschritten. Dazu kam das bald beglückende, alsweil deprimierende Dasein eines Erasmusstudenten an der Austauschuniversität zwischen tausend anderen seiner Spezies, die sich alle auf einen bürokratischen Hürdenlauf von Learning Agreements, Credit Points und dem Identifizieren vergleichbarer Studienfächer mit ihrem Studiengang begeben müssen – oder es sein lassen und einfach nur Party machen. Die Lauberge espagnole lässt grüßen (Kinohit). Nicht ohne Grund macht auch der nette, unter Studenten wohl bekannte Slogan Erasmus-Orgasmus auf den Erasmus-Fiestas die Runde. Anfangs faszinierten mich diese meist sehr alkoholträchtigen Hausparties, wobei sich stets ein Haufen junger Menschen aus aller Welt in einem Flur oder Wohnzimmer zusammenquetscht und in Gesprächen über WG-Mitbewohner, Besuche und Reisevorhaben munter die Sprachfehler des anderen imitiert, woraus sich das Erasmus-Spanisch ergeben hat. Doch bald schon versuchte ich mich größtenteils fern von der breiten, verführerisch bis abstoßenden Erasmusmasse zu halten.

Zunächst probierte ich es mit den Intercambios: ein linguistischer Austausch zwischen Personen, die unterschiedliche Muttersprachen sprechen, aber jeweils die des anderen lernen wollen. Ich hängte Gesuche in halb Granada auf und hatte nach 24 Stunden bereits vier Verabredungen mit Spaniern, die sich mit mir zum Intercambio treffen wollten. Manuel, Mario, Pedro und Antonio. Es stellte sich allerdings heraus, dass bis auf ein, zwei Ausnahmen die Pedros und Antonios andere Absichten als nur linguistische hegten. Leider entsprach keiner meinem Typ.

Im Januar fingen die Besuche an. Anfangs lud ich noch möglichst viele meiner Freunde und Familie zu Besuch nach Granada ein, damit sie sehen sollten, wie genial diese Stadt und mein Leben hier sind. Nach den ersten Besuchen legte sich diese Euphorie. Welch ein Glück, dass meine beste Freundin Esther auf Guiris steht, das ist das nette spanische Wörtchen für Ausländer, und Deutsch spricht!

Schließlich hatte ich mich aber eingelebt und verwirklichte ein weiteres großes Vorhaben: meine Kunstmappe. In den engen, verwinkelten Gassen des Albaicíns, dem alten Wohnviertel der Mauren, das sich am Fuße der Alhambra erhebt und in seinem ursprünglichen Baustil sehr gut erhalten ist, fand ich die Motive meiner Inspiration: Mosaike, Fenstergitter, verwunschene Innengärten und tauchte beim Aquarellieren völlig in die zeitlose Welt des Albaicíns ein. Anfang Mai zog ich ins Albaicín, wo ich jetzt mit neun Mitbewohnern in einem typischen arabischen Carmen mit Innenhof, drei Sonnenterrassen und neuerdings einem Swimmingpool mit grandiosem Blick auf die Alhambra lebe.

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