DNS-Analyse
Hundertfünfzig Gramm Kolumbus
Von Leo Wieland
Fünfhundert Jahre nach seinem Tod noch ein Rätsel: Christoph Kolumbus
20. Mai 2006
Vier überlebensgroße gekrönte Herolde aus Marmor tragen in der Kathedrale von Sevilla einen Sarkophag, der jedem König Ehre machen würde. Darin liegen in offenbar ewiger Unruhe noch hundertfünfzig Gramm Knochen „in sehr elendem Zustand“. Sie werden dem berühmtesten Seefahrer aller Zeiten zugeschrieben: Christoph Kolumbus. An seinem fünfhundertsten Todestag an diesem Samstag befindet sich der Admiral nun auf seiner fünften postumen Reise, diesmal durch das Reich der DNS-Analysen. Sind schon der Ort und das genaue Datum seiner Geburt ein Rätsel, so ist es die Frage, ob er in Andalusien oder vielleicht doch in der Karibik begraben ist, erst recht.
Der Sarg und die vier Herolde von Sevilla waren eigentlich im 19. Jahrhundert von den Spaniern für Kolumbus damaliges Grab in Havanna geschaffen worden. Doch auch jenes blieb nur Episode in der Odyssee eines Mannes, den im Zeitalter der politischen Korrektheit kaum noch einer den „Entdecker Amerikas“ zu nennen wagt und der als Kapitän vier Transatlantikreisen und als Leichnam noch einmal so viele Fahrten unternahm.
Nur wenig Licht im Dunkel
Die Kathedrale von Sevilla: Ist hier das Grab des berühmten Seefahrers?
Aber erzählen wir der Reihe nach, was man über Cristobal Colon – auf diese spanische Schreibweise seines Namens legte er wert – zu wissen glaubt. Die meisten Historiker nehmen an, daß er um das Jahr 1451 im italienischen Genua als Sohn eines Wollwebers namens Colombo oder Colonno auf die Welt kam. Vielleicht war dem ambitionierten Kolumbus diese Herkunft ein bißchen zu bescheiden. Er trug jedenfalls in seinen Aufzeichnungen und den Gesprächen mit seinem legitimen Sohn Diego und dem illegitimen Sohn und Biographen Hernando herzlich wenig dazu bei, Licht in dieses Dunkel zu bringen. Er äußerte nur einmal vage nebenbei, daß er „nicht der einzige Admiral“ in der Familie sei.
Kolumbus, der auf der Suche nach einer „Westroute nach Indien“ im Auftrag der Katholischen Könige Ferdinand und Isabella im Jahr 1492 nach gleichermaßen erschöpfender wie abenteuerlicher Fahrt die erste Bahama-Insel sichtete – und bis zu seinem Tod glaubte, nach Asien gelangt zu sein -, hatte es als Glücksritter, Goldsucher, Kolonisator und Missionar schon in der unmittelbaren Phase des Nachruhms nicht leicht. Von einer seiner drei anschließenden Ausfahrten kam er sogar in Ketten zurück. Und als er im spanischen Valladolid starb, war er arm, verbittert und halb vergessen.
Die zweite Reise des Toten
Die Kathedrale von Santo Domingo mit dem Denkmal von Kolumbus
Aber wenigstens das Todesdatum, der 20. Mai 1506, scheint verbürgt zu sein. Doch danach ging es mit den sterblichen Überresten des Seefahrers, der in seinem Testament den Wunsch geäußert hatte, in der „Neuen Welt“ begraben zu werden, hin und her. Zunächst wurden sie im kastilischen Valladolid in einem Franziskanerkloster bestattet. Drei Jahre später sorgte sein Sohn Diego für eine Überführung in die Kapelle Santa Maria de las Cuevas auf der Flußinsel La Cartuja in Sevilla. Drei Jahrzehnte später erwirkte die Schwiegertochter die Erlaubnis des Königs, die Gebeine des Kolumbus und ihres inzwischen gestorbenen Mannes Diego nach Santo Domingo auf die von Kolumbus „entdeckte“ Insel Hispaniola – heute Haiti und die Dominikanische Republik – überführen zu lassen. Das war die zweite Reise des Toten.
Als Santo Domingo im Jahr 1795 von den Franzosen besetzt wurde und Kolumbus plötzlich nicht mehr in „spanischer Erde“ ruhte, beschlossen seine Landsleute, ihn nach Havanna zu bringen. Dort wurde er aber im Jahr 1898 wieder von der ausklingenden Kolonialgeschichte eingeholt. Als Spanien den Krieg gegen die Vereinigten Staaten von Amerika verlor und Kuba unabhängig wurde, wurden die exhumierten Gebeine zurück nach Sevilla verschifft, wo die vier marmornen Herolde noch warteten. So war es, vielleicht aber auch nicht. Denn Sevilla und Santo Domingo streiten sich seit langem um das „echte“ Grab.
„Männlich, mittelgroß und von mediterranem Typ“
Die bleierne Schatulle im Sarg der spanischen Kathedrale trägt eine Inschrift mit dem Namen Cristobal Colon. Doch auch die andere Urne aus der ersten Kathedrale Amerikas, die jetzt in dem für das Jubiläumsjahr 1992 errichteten Mausoleum Faro de Colon untergebracht ist, lautet auf den „erlauchten Don Cristoval Colon“. Dort, in Santo Domingo, sind nicht nur mehr Gebeine als in Sevilla. Als Bauarbeiter bei Reparaturen in der Kirche im Jahr 1877 auf eine Urne stießen, fanden sie darin sogar noch eine Pistolenkugel, die weder von einer Verwundung – Kolumbus hatte keine Schußverletzung – noch aus seiner Epoche stammte. Um mit der Lampe der modernen Biotechnologie die Ost-West-Gräberrivalität auszuleuchten, erteilten die Spanier vor drei Jahren dem Genetikfachmann an der Universität von Granada Jose Antonio Lorente die Erlaubnis, die Gebeine von Sevilla zu prüfen.
Das war schon deshalb mutig, weil ein Teil der geringen Menge zu diesem Zweck unwiederbringlich „pulverisiert“ werden mußte. Lorente legte zunächst wie ein Gerichtsmediziner ein „Profil“ vor, welches lautete: „Männlich, erwachsen, zwischen fünfzig und siebzig Jahre alt, mittelgroß, kräftig und von mediterranem Typ.“ Das alles traf auf Kolumbus zu. Dann verglich Lorente seine DNS-Daten mit denen der einst ebenfalls in Valladolid beerdigten Reste von Kolumbus jüngerem Bruder Diego (nicht zu verwechseln mit dem ältesten Sohn). Er befand sie „als Brüder kompatibel“. Auch die späte „Vaterschaftsprobe“ mit dem vergleichenden „genetischen Fingerabdruck“ des in Sevilla bestatteten jüngeren Sohnes Hernando weist anscheinend in die gleiche Richtung.
Die Frage ist jedoch unverändert, wer in Santo Domingo begraben ist. Die dortige Regierung hat im Lauf der vergangenen Jahre wiederholt erst eine Genehmigung für eine DNS-Untersuchung erteilt und sie dann aber immer unmittelbar vor der Abreise spanischer Spezialisten mit unklaren Begründungen widerrufen. Der Forscher Lorente neigt inzwischen zu einem Sowohl-als-auch. Seine letzte Zwischenbilanz lautet: „Was wir in Sevilla haben, ist Christoph Kolumbus. Weil das Skelett aber nicht vollständig ist, dürfte ein großer Teil seiner Überreste an einem anderen Ort sein, möglicherweise in der Dominikanischen Republik.“ Sollten deren Regenten es doch noch genauer wissen wollen, dann stünde vielleicht sogar eine versöhnliche transkontinentale Lösung des Kolumbusrätsels in Aussicht – die Kugel in der Urne natürlich ausgenommen.