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Ein Jahr in Barcelona – oder auch wo anders

Ein Jahr in Barcelona – oder auch wo anders
VON REGINA PÖLL (Die Presse) 28.12.2006
Erasmus. 1,5 Millionen Studenten nutzten in den vergangenen 20 Jahren die Chance auf EU-Austausch.
Erfolgsgeschichte Erasmus. Auch Kommissionspräsident Barroso gratuliert. | (c) EPA
Erfolgsgeschichte Erasmus. Auch Kommissionspräsident Barroso gratuliert. | (c) EPA

Wien. Xavier, Wirtschaftsstudent aus Frankreich, hat es vorgezeigt: raus aus der heimischen Uni, rein ins studentische Vergnügen im Ausland. Statt an einer spanischen Universität nur BWL-Kenntnisse für die Karriere zu sammeln, hat er vor allem Freunde aus ganz Europa gefunden: Außer Vorlesungen in einer fremden Sprache gab es eine multinationale WG, viele Feste, wenig Langeweile – Land und Leute pur. Und alles dank Erasmus, des EU-Programms für den Studentenaustausch, das 2007 seinen 20. Geburtstag feiert.

Wie Hauptfigur Xavier im Film-Hit Barcelona für ein Jahr suchen inzwischen mehr als 4000 österreichische Studenten, Dozenten und Professoren im Jahr mit Erasmus das Weite. Im Studienjahr 2000/01 waren es noch 3000. Seit 1987 haben sich europaweit mehr als 1,5 Millionen Studenten mit der EU-Förderung von mehreren hundert Euro im Monat auf Wanderschaft an eine von Hunderten Partneruniversitäten in nunmehr 31 Ländern gemacht.

Am beliebtesten ist Spanien, allen voran die Universität Granada mit 1620 Erasmus-Studenten, gefragteste österreichische Universität war 2004/05 die Uni Wien mit 693 Studenten aus dem Ausland. Zu den beliebtesten Studienrichtungen zählen Betriebswirtschaft, Literatur- und Sozialwissenschaften.

Für EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sind 20 Jahre Erasmus ein Grund zum Feiern: Das Programm habe dem Hochschulwesen in Europa einen Modernisierungsschub verliehen, sagte er bei einem Festakt in Brüssel. 1987 waren es 3244 Studenten, die sich auf die Reise machten, 2005 lernten 144.032 Teilnehmer über Erasmus andere Studiensysteme kennen, also ein Prozent aller europäischen Studenten, zu 60 Prozent Frauen. Bei den Lehrenden sind die Zahlen ebenfalls stark steigend: 20.877 – 1,9 Prozent aller Dozenten und Professoren – nützten im Vorjahr das Angebot.

Zum Jubiläum scheint das Austauschprogramm aber tatsächlich in die Jahre gekommen zu sein: Paul Kellermann, Soziologe an der Universität Klagenfurt, geht davon aus, dass die EU selbst ihr Ziel der wachsenden Mobilität unter den Studenten gefährdet hat – mit dem Bologna-Prozess seit 1999: Dieser sieht vor, dass EU-weit alle Studiensysteme vereinheitlicht werden. Statt mindestens vierjähriger Magisterstudien wie in Österreich soll es bis 2010 dreijährige Bachelorstudien geben, Master- und Doktoratsstudien können angeschlossen werden. Dadurch soll ein Wechsel zwischen den Universitäten in ganz Europa leichter fallen.

Kellermann rechnet im Presse-Gespräch aber mit dem Gegenteil: Viele Bachelor-Studenten würden nur noch auf einen raschen Abschluss abzielen: In diesem verschulten System tut sich keiner mehr den Sprung ins Ausland an, glaubt der Ko-Autor einer EU-Studie über Akademikermobilität, die 2007 veröffentlicht werden soll.

Zweites Hindernis ist die Förderung pro Erasmus-Studienplatz, die je nach Land unterschiedlich hoch ist. Das Studieren und Leben im Ausland soll den Teilnehmer nicht mehr als im Inland kosten. Statt auf die geplanten zwölf Milliarden Euro im EU-Budget für 2007 bis 2013 haben sich die EU-Staaten aber auf nur sieben Milliarden Euro für die EU-Bildungsprogramme, darunter Erasmus, geeinigt. Für Erasmus-Studenten dürften weiterhin Mehrkosten entstehen. Bildungskommissar Ján Figel mahnt die Regierungen: Die Erasmus-Stipendien sind viel zu niedrig, die Mitgliedstaaten sollten großzügiger fördern.

Wer sich in den vergangenen 20 Jahren trotzdem auf Wanderschaft gemacht hat, hat nicht nur das Studiensystem, Land und Leute jenseits der Grenze näher kennen gelernt. Aufgrund ihrer Sprachkenntnisse sind ehemalige Erasmus-Studenten auch auf dem Arbeitsmarkt gefragter. Die persönliche Bilanz der meisten Teilnehmer ist positiv: Neun von zehn Heimkehrern sind mit Erasmus zufrieden. Wie Xavier, der im zweiten Erasmus-Film ein Wiedersehen in St. Petersburg mit seinen Ex-WG-Kollegen feiert.

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