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Lorca finden, ohne ihn zu suchen

Lorca finden, ohne ihn zu suchen

Es ist eine verwickelte Geschichte. Die andalusische Justizministerin Begoña Álvarez hat jetzt in Granada ein Abkommen mit dem Verein zur Wiedererlangung des Historischen Gedächtnisses und der Universität von Granada unterzeichnet, das die Öffnung von sechs mutmaßlichen Gräbern von Franco-Opfern in der Gemeinde Alfacar bei Granada vorsieht. Die Ausgräber werden dabei mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auf die Überreste des berühmtesten spanischen Schriftstellers des 20. Jahrhunderts, Federico García Lorca, stoßen. Doch offiziell wird gar nicht nach Lorca gesucht, sondern nach anderen Mordopfern, die gemeinsam mit Lorca in den Tod gingen.

Wenn Knochen des Dichters ans Tageslicht kommen, werden sie liegen bleiben, wo sie sind: Lorcas Angehörige wollen keine Umbettung und auch keine DNS-Analyse. Der irische Hispanist und Lorca-Forscher Ian Gibson hat angekündigt, Spanien für immer zu verlassen, wenn mit den jetzigen Ausgrabungen nicht das Rätsel um Lorcas Grab und seine letzten Lebensstunden gelöst werden sollte.

Spaniens Umgang mit Lorca ist ein Lehrstück über Spaniens Umgang mit seiner jüngeren Geschichte. Lorca war gerade 38 Jahre alt, als er am frühen Morgen des 18. oder 19. August 1936 von Franco-Leuten erschossen wurde. Doch seine Gedichtbände und seine Theaterstücke hatten ihm bereits internationalen Ruhm eingebracht. So wurde sein Mord zum Symbol für die Grausamkeit der aufständischen Militärs unter dem General Francisco Franco, die Spaniens Zweite Republik in den Bürgerkrieg gestürzt hatten und nun mit systematischem Terror ihre politischen Gegner verfolgten. Die Opfer ließ man dort begraben, wo sie eben ermordet worden waren, und die meisten von ihnen liegen noch heute irgendwo in anonymen Gräbern verscharrt.

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Die Verbrechen der Franco-Diktatur sind vom demokratischen Spanien nie verfolgt, die Mordopfer nie gesucht worden. Erst durch die Privatinitiative des Journalisten Emilio Silva, der sich vor neun Jahren auf die Suche nach den Überresten seines republikanischen Großvaters machte, ist in Spanien eine Bewegung entstanden, die bis heute 200 Gräber geöffnet und an die 4000 Ermordete exhumiert hat.

Der Staat hält sich heraus: Selbst das «Gesetz über das Historische Gedächtnis», das die sozialistische Zapatero-Regierung vor zwei Jahren durchs spanische Parlament brachte, begreift die Suche nach den Opfern nur als humanitäre Geste, nicht als rechtsstaatlich unumgängliche Verbrechensaufklärung. Deswegen werden die Behörden nur aktiv, wenn Angehörige um Hilfe bitten. Deswegen hat sich bisher noch niemand auf die Suche nach Federico García Lorca gemacht: Seine Neffen und Nichten haben bis heute kein Interesse daran gezeigt, die Überreste ihres Onkels zu finden. Sie wollen, sagen sie, seine Totenruhe nicht stören.

Dass man Lorca in den kommenden Tagen oder Wochen wahrscheinlich trotzdem finden wird, ist den Nachfahren anderer Franco-Opfer zu danken, die auf die Exhumierung ihrer Angehörigen beharren, um ihnen eine würdige Bestattung zu ermöglichen. Lorca wurde gemeinsam mit einem republikanischen Dorfschullehrer und zwei Anarchisten erschossen – es sind die Angehörigen eines der Anarchisten, die nun auf die Ausgrabung dringen. Die Leichen Lorcas und der anderen drei Männer musste ein junger Kommunist noch in der Mordnacht an Ort und Stelle vergraben. Genau dort, am Ortsrand von Alfacar bei Granada, steht heute ein Gedenkstein. Doch ob sich darunter wirklich die Überreste der Toten befinden, ist bis heute nie untersucht worden.

Der Hispanist Ian Gibson, Autor der maßgeblichen Lorca-Biografie, wirft den Angehörigen García Lorcas vor, den Dichter wie ihr Eigentum zu behandeln – dabei sei Lorca das Eigentum der Welt. Er hofft, dass man Lorca findet, auch wenn man eigentlich gar nicht nach ihm sucht. «Alles was wir, die wir ihn bewundern, wollen, ist zu wissen, wie er starb.»
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